05.10.2014, 12:27
Zitat:Vielleicht müsst man differenzieren zwischen Schmerzen und Leiden! Wer keinen Schmerz mehr empfindet... ich glaube, solch ein Mensch ist tot. Wenn ich Wesen sehe, die Schmerz empfinden, wie kann ich noch mitfühlend sein, wenn ich diesen Schmerz nicht "nachempfinde", bzw. dieses Wesen nicht als einen Teil (von vielen) von mir selbst sehe? Und wenn ich das tue, wie könnt ich da unberührt von Schmerz bleiben???
Du sagst, man müsse vom Schmerz berührt werden, um ihn verstehen zu können bzw. um ihn nachempfinden zu können. Und ich sage, man muss selbst vollkommen unberührt sein, um wirklich verstehen zu können.
Aber was heißt es, berührt zu werden oder unberührt zu sein?
Es heißt nur, dass ich das nicht bin. Da ist Schmerz - selbst in mir und auch in anderen. Das kann vollkommen klar gesehen werden und doch bin ich unberührt davon. Warum? Weil Schmerz nicht meine Natur ist. Schmerz geschieht einer Person und unberührt zu sein bedeutet, die Person zu beobachten, die Schmerzen leidet. Ist das tot? Überhaupt nicht. Eher ist es tot, die Person zu sein, die Schmerzen hat. Das heißt wirklich, tot zu sein, denn der Schmerz hat dich besiegt.
Wer sind die hilfreichen Menschen in Krisen? Diejenigen, die klar bleiben und helfen oder diejenigen, die ebenfalls in Sorge und Panik verfallen?
Etwas aus der Praxis. Ich habe um die 10 Jahre lang Menschen in suizidalen Krisen begleitet. Ich konnte dabei nur unbeschadet bleiben, weil ich nicht mit ihnen in das Boot ihres Elends gestiegen bin. Ich blieb möglichst immer bei mir und bewahrte Distanz und genau das war es, was den anderen einen Anker bot. "Ich verstehe deinen Schmerz, aber ich weiß auch, dass er vorbeigehen wird" Das lässt sich glaubwürdig nur vermitteln, wenn man wirklich Beobachter bleibt. Dann wird man zum Verkünder von Stabilität und Hoffnung.
Zitat:Vielleicht müsst man differenzieren zwischen Schmerzen und Leiden!
Genau. Es gibt den zustand, in dem Schmerzen da sind, aber keine Leiden. Und dann wird Schmerz zu einem Phänomen, wie jedes andere. Hilfe heißt zu vermitteln: Da ist Schmerz, aber du bist das nicht.